OKW Historie / Fundstücke

Es wirkt unscheinbar, auf den ersten Blick. Ein vergilbtes Papier und der blasse Stempel einer Karlsruher Wirtschaftsbehörde der Nachkriegszeit. Das von einem Beamten in die Schreibmaschine getippte Datum: 28. Juni 1948.

Einmal schnell Kopfrechnen! Was da vor uns liegt, dokumentiert nichts Geringeres als die Geburtsstunde unseres Familienunternehmens!

Unsere weltweit agierende OKW-Group – ohne die „Betriebsgenehmigung Nr. 3394“ gäbe es sie heute, auf den Tag genau 75 Jahre später, schlichtweg nicht. Die OKW-Story war zwei Jahre zuvor, 1946, angelaufen. In abgelegenen Räumen der Möbelfabrik Franz Fertig - als winzige Lohnpresserei im Odenwald. Hier scharte der ehemalige Gymnasiallehrer Dr. Herbert Schneider ein Team von technisch versierten Mitarbeitern um sich. Es wurde gemeinsam experimentiert, improvisiert, zwei Pressen und erste Aufträge organisiert. Es war eine „wilde“ Zeit, in der es weder Material noch Maschinen gab, der Alltag von der amerikanischen Alliiertenregierung geregelt war.

Schauen wir in den Brief. Von „Pressgegenständen aus Kunstharzstoffbasis“ und „Kunstholz für Möbelbau“ ist da die Rede. Damals steckte die Kunststoffverarbeitung in den Kinderschuhen. Naturharze wurden durch Kunstharze wie Duroplaste ersetzt, um Kosten und Mühe zu sparen. Auch im frisch gegründeten Odenwälder Kunststoffwerk* wurde diese Technik verwendet. Zunächst zog man Kleinstaufträge an Land, Elektrozubehör wie Stecker, sogar ein Rasieretui, später rutschte man in die Radioknopfindustrie.

Glamour liegt also über diesem Papier!

Als Herbert Schneider die Post aus Karlsruhe im Juni 1948 in den Händen hielt, dürfte er stolz aufgeatmet haben. Der Rest ist (unsere) Geschichte…

75 Jahre! Auch Dich und uns darf es mit Stolz erfüllen, Teil einer so erfolgreichen Firmengeschichte zu sein!

*Das Odenwälder Kunststoffwerk wurde im Jahre 1948 von Dr. Herbert Schneider in Buchen im Odenwald gegründet. Seit 1984 werden die Standardgehäuse und -drehknöpfe über die rechtlich eigenständige Odenwälder Kunststoffwerke Gehäusesysteme GmbH vertrieben und nach Kundenwunsch veredelt.

In seiner Stimme schwang immer leicht der warme Mannheimer Dialekt mit. Seine Doktorarbeit schrieb er über die Meeresenge von Gibraltar. Er wollte mal Diplomat werden. War voller Ideen. Liebte Sport. Die Liebe verschlug ihn nach Buchen. Er hatte ein Talent sich auf neue Situationen einzustellen, leicht! Ein Self-Made-Men und Idealist.

Dr. Herbert Schneider (1910-1973), der Gründer unserer Mutter-Firma war ein Faszinosum. Dieses eher ernste Foto zeigt den Mitdreißiger. Ein schönes Fundstück aus dem Archiv! Die Kraft eines Porträts liegt in dem Bruchteil der Sekunde, in dem man etwas vom Leben der fotografierten Person versteht, sagt Filmregisseur Wim Wenders.

Mit 36 Jahren krempelt der Gymnasiallehrer, aus dem Krieg zurückgekommen, sein Leben um. Freiheitsliebend wie er ist, engt ihn die Monotonie des Lehrberufes ein. Statt Schülern wie - vor dem Krieg - die unregelmäßigen Verben in Französisch einzubläuen, wendet er sich der Wirtschaftswelt zu. Sein Argument: „Und wenn die Schüler es dann könne, kommt die nächste Klasse: Wie oft willschdn des mache?!“

Der andere Grund für den Jobwechsel: Der Mannheimer Lehrersohn hatte 1939 in eine Fabrikantenfamilie eingeheiratet: Die der Möbel- und Holzwarenfabrik Franz Fertig. Herbert unterstützt seine Schwiegermutter, Firmenbesitzerin, während und nach dem Krieg interimsmäßig.

Selbst Fabrikant werden, das wäre es! Diese Idee reift in Herbert Vorstellung heran, 1946 beginnt er den Traum in die Tat umzusetzen. Seine Stunde Null. Kunststoff fasziniert ihn, damals das Material der Zukunft. Sein persönliches Risiko ist groß, er ist „fachfremd“. Doch nun kommt Schneiders pädagogische Ausbildung zum Tragen, erweist sich als sein größtes Pfund. Es gelingt ihm persönlich zu überzeugen, beste Mitarbeiter zu finden, zu fördern und zu binden. Der Anfang einer in den 50er und 60er Jahren boomenden Firma. In ihren Hochzeiten wird sie 700 Mitarbeiter ernähren.

OKW setzt auf eine Karte: Rundfunk-Geräte

Klick, Rauschen, Ton ab! Der Knopf, an dem die Menschen in den 50-er Jahren Ihr Radiogerät einschalteten, stammte mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit aus Buchen im Odenwald.

Schlichte Radioknöpfe waren die ersten Produkte des Odenwälder Kunststoffwerkes, nach dem 2. Weltkrieg, als der Siegeszug des Rundfunks unter den Fittichen der Alliierten den entscheidenden, zweiten Anlauf nahm. Und OKW sprang auf diesen Zug auf.

Das zeigt auch der erste offizielle Katalog von OKW von 1955.

„Kunststoff-Teile für die Rundfunk-Industrie“ titelt das 28 Seiten schmale Heft in Schreibschrift, das Papier fühlt sich seltsam rauh an. Umso glänzender setzt man im grünbraunen Design die Radioteile aus dem Hause OKW erstmals in Szene. Die Kunststoffteile sind erhältlich in schwarz, kaffeebraun, naturfarben und gemasert (aus Phenolharz) oder in der Farbe Elfenbein oder Champagner oder Weiß (aus Harnstoffharz). Sie werden traditionell in der Presserei geformt oder in der seit 1954 eingerichteten Spritzguss-Abteilung.

Hier präsentiert die aufstrebende Firma Ihr kleines, aber feines Sortiment. Es sind die ersten Meilensteine unserer höchst abwechslungsreichen Produktgeschichte. Als Spezialität unserer Mutterfirma gelten allerlei Radioknöpfe.

Kramt man in den Archiven, begann die Geschichte mit Eduard Hefner. Hefner war ein Mann der ersten Stunde, tingelte als kaufmännischer Leiter unermüdlich auf der Suche nach Aufträgen durch die Lande. OKW war ein unbeschriebenes Blatt für die Radiofirmen. In Bremen bei der Firma Nordmende drückte ihm jemand einen einfachen Bakelit-Knopf - zum Betätigen des damals noch üblichen „Volksempfängers“- in die Hand. Zurückgekehrt nach Buchen erntete er Kopfschütteln. Trotzdem erstellte man eine eigene Pressform. Mit einigen Farbmustern des Drehknopfes 10 006 im Gepäck ging Hefner bei Radio-Herstellern (wie Blaupunkt, Löwe Opta, Telefunken, Grundig, Siemens und Wega) hausieren und lobte ihn in den Himmel. Mit Erfolg!

Aber nicht nur Drehknöpfe rollten erfolgreich vom Band.

Auch Innenteile presste man für die Rundfunk-Industrie. Was in den Radios jener Zeit verbaut wurde, finden wir im Katalog: Ein „Wellenbereichsanzeiger“ etwa, mit dem man zwischen Kurzwelle, Langwelle und Mittelwelle wechseln konnte.

Vor allem aber Antriebsräder und Seilrollen aus dem Hause OKW waren ab Mitte der 50-er Jahre ein Renner, verließen in hohen Stückzahlen das Werk. „Auch Zeigerschlitten“, „Klangfarbenanzeiger“, Drucktastenknöpfe, „Antennenhalter“ und Antriebskurbeln sorgten nach harten Durststrecken und Geldsorgen der Gründerzeit endlich für schwarze Zahlen. Auch Pressteile für das Fernsehen für Siemens & Halske wurden 1953 mit strategischem Blick auf das kommende Medium TV bereits übernommen.

Mit rund 340 Angestellten (1955) hatte sich das OKW in wenigen Jahren zum größten Betrieb des Landkreises entwickelt. Das Werk exportierte rund zehn Prozent seiner Produkte in europäische Staaten, nach Übersee und sogar Ostasien.

Moderne Maschinen zum Laufen zu bringen und verschiedenartigste Kunststoffe zu händeln, gehört bis heute zu den Herausforderungen in der Fertigung. Generationen von OKW-Arbeitern kämpften seither mit den Tücken neuer Technik. Da knirschte und qualmte es immer wieder mal…

Ein solcher „Schlüsselmoment“ war die Umstellung auf thermoplastischen Kunststoff. Das heutige „Fundstück“ erzählt vom „Ersten Spritzversuch“, einem markanten Punkt in der Firmengeschichte. Ein zeichnerisch begabter Mitarbeiter hat das wunderbar humorvoll in der „Schmunzelnden Chronik“ (1960) festgehalten.

Im Zuge der Modernisierung richtete das Odenwälder Kunststoffwerk 1955 eine Spritzabteilung ein. Die Jahre zuvor war Kunststoff ausschließlich „gepresst“ worden. Aus einer pulverförmigen Duroplast-Pressmasse entstanden - unter hydraulischen und mechanischen Pressen, die mit einem Druck von bis zu 100 Tonnen arbeiteten - Radioknöpfe, Schalter, Spulenknöpfe und andere Teile von Rundfunkgeräten.

Nun aber wurden die Vorteile der Thermoplaste immer bekannter. Dazu gehörte, dass das Material immer wieder eingeschmolzen und -verwendet werden konnte. Auch das zeitraubende „Entgraten“ fiel fast gänzlich weg, also das Entfernen von Kanten, Splittern und Fasern der Kunststoffteile.

Das moderne Material, die thermoplastische Spritzmasse, wie zum Beispiel „Cellidor“, von dem hier die Rede ist, wurde bis auf 170 Grad erhitzt und in flüssigem Zustand in die Form eingespritzt. Beim ersten Experiment im OKW schien es zu dünn geraten zu sein. „Das Cellidor rächte sich ganz fürchterlich“, die stinkende Brühe flog dem Techniker um die Ohren. Ein brauchbarer Radioknopf für den Radiohersteller Nordmende wurde noch nicht daraus.

Zur Karikatur passt ein aus einem Archivkasten gezogener Zettel mit dem stolzen Satz „Am 30.9.1955 wurde „Cellidor“ erstmals erfolgreich in der Spritzerei verwandt.“ Wer ihn geschrieben hat, ist unbekannt. Gut möglich, dass es der damalige Direktor Hans Richter (unten rechts im Bild) war. Er war die treibende Kraft bei der Einführung des Spritzverfahrens. Nachdem er sich Kenntnisse über thermoplastische Kunststoffe bei einem BASF-Lehrgang angeeignet hatte, beschaffte er einen gebrauchten Spritzautomaten. Das Team krempelte die Ärmel hoch und probierte aus, frei nach dem Trial-and-Error-Prinzip.

Den Dreh hatte man bald raus. Dank der Spritzerei ging es mit der Fabrik Schlag auf Schlag voran, die aufgestauten Auftragsbestände wurden immer schneller erledigt. Schon bald war bei OKW ein Zurück zur Presse nicht mehr denkbar.

Eine wichtige Zäsur in der Kunststoffherstellung war gemeistert. Mit Fachwissen, Geduld und der Kraft des Humors.